Die Schuhmachergilde der Stadt Lemgo war eine der neun um 1500 bestehenden Gilden, die an der Wahl des Rates und damit an der Verwaltung der Stadt teilnahmen.

In jedem Jahr nach den Ratswahlen wählte die Schuhmachergilde seinen Vorstand: zwei Dechen, einen Rentmeister und einen Werksmeister.

Die 1545 erlassene Gesellenordnung umfasste die folgenden 11 Artikel, die auch die Sozial- und Moralvorstellungen der evangelischen Kirche in dieser Zeit erkennen lassen:

1. Die Schuhmachergesellen (auch Schuhknechte genannt) wählen sich jedes Jahr zwei


Meisterknaben am Montag nach Fastnacht mit Genehmigung der Dechen des


Schuhmacheramtes für Boten- und Hilfsdienste.

2. Auf Aufforderung dieser beiden Meisterknaben (Lehrlinge) haben alle Gesellen im Schuhhaus (Gesellenhaus der Gilde) oder im Meisterhaus zu erscheinen. Wer nicht erscheint, hat drei Schillinge an die Knechtebüchse (Sammelbüchse der Gesellen) zu zahlen. Für zu spätes Erscheinen sind zwei Schillinge zu entrichten.

3. Die gewählten Meisterknaben haben am Osterabend des Michaelistages (29.09.) von jedem Gesellen zwei Schillinge „Säckelgeld“ einzusammeln. Sie erhalten dafür eine Steinkanne Bier. Das gesammelte Geld haben sie getreulich zu verwahren und mit dem „Oldervater“ (Altgesellen) abzurechnen.

4. Alle Gesellen haben zwei Wanderzeiten zu Ostern und zu Michaelis, das heißt, sie können an diesen beiden Tagen in den oder aus dem Dienst gehen. Als Lohn wird für ein halbes Jahr festgesetzt:


Ein Paar Schuhe und die Kost, von vier Paar „doppelten“ Schuhen 6 Schillinge und von fünf Paar „einfältigen Schuhen täglich fünf Schillinge.

Geht ein Geselle vorzeitig aus dem Dienst, soll ihm ein Jahr lang keine Arbeit in Lemgo


gegeben werden.

5. Falls ein Geselle krank wird und hilfsbedürftig ist, sollen ihm die gewählten Meisterknaben dreimal einen Schreckenberger (= 10 Schillinge) aus den Geldern der Gesellen auszahlen. Wird er wieder gesund, hat er die drei Schreckenberger an die Gesellen zurückzuzahlen.


Im Todesfalle erhalten die Meisterknaben die von dem Toten hinterlassene Kleidung. Alle


Gesellen haben einen verstorbenen Mitgesellen zu Grabe zu tragen. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, hat drei Schillinge in die „Knechtebüchse“ zu zahlen.

6. Alle Jahre haben die Gesellen zwei Zusammenkünfte zu halten, die eine am Montag nach Fastnacht, die andere am Pfingstmontag.


Bei Streitigkeiten zwischen Schuhmachergesellen bitten die Meisterknaben den „Oldervater“ um ein Urteil. Ausgesprochene Brüchten (Strafen) sollen den Gesellen zugute kommen.


Am Pfingstmontag findet ein gemeinsamer Kirchgang statt, nach dessen Ende Lehrlinge und Gesellen ein Opfer in die „Gottes- Kiste“ (Opferstock) zu geben haben. Wer das versäumt, wird mit vier Schillingen bestraft, die den Armen zugeführt werden sollen.

7. Jeder Geselle hat jeden dritten Sonntag in den Krug der Schuhmacher zu kommen, dort für zwei Mariengroschen (6 – 8 Schillinge) zu verzehren und dabei den beiden Meisterknaben ein gleich hohes Trinkgeld zu geben. Wer ohne wichtigen Grund ausbleibt, hat die zwei Mariengroschen als Ausgleich zu zahlen.


Die Meisterknaben sollen allen Gesellen im Kruge der Schuhmacher die „scharfe Wehr“ abnehmen. Wer die Abgabe der Waffe verweigert, hat eine Strafe von einem Mariengroschen zu zahlen.


8. Wer im Kruge der Schuhmacher einen anderen Gesellen beschimpft oder handgreiflich wird, soll nach dem Maß seines Vergehens bestraft werden.

9. Alle Gesellen haben während der Zusammenkünfte ihre Zeche bar zu bezahlen, es sei denn, der „Oldervater“ vertraut ihnen und will die Schuld persönlich einfordern.


Es ist den Gesellen verboten, während der Zusammenkünfte und an den verpflichtenden Sonntagen mit Würfeln, Karten oder sonstigen Glücksspielen um Geld oder Geldeswert zu spielen. Jeder Verstoß gegen dieses Gebot wird mit einem Schreckenberger bestraft. Meisterknaben, die solche Glücksspiele dulden oder selbst mitspielen, erhalten eine Strafe von einem Orttaler (¼ Taler).

10. Das Schuhflicken wird gehandhabt wie von alters her. Es dürfen aber keine Balkflicken gemacht werden. Wer dagegen verstößt, hat dem Schuhmacheramte zwei Tonnen Bier zu bezahlen (1 Tonne = 199 Liter).

11. Wenn ein Geselle zwei Nächte außerhalb des Hauses seines Meisters verbringt und der Meister sich darüber beklagt, hat er einen Orttaler zur Hälfte in die „Knechtebüchse“ und zur anderen Hälfte den anderen Gesellen zum besten zu geben. Jeder Knecht möge sich diese Artikel merken, damit er sich vor Schaden bewahre.

(Quelle: F. Starke – „Lieme – Eine Dorfgeschichte in Einzeldarstellungen“)